Liebe in Zeiten von Corona

Wer schonmal eine Hochzeit geplant hat, weiß, wie viel Arbeit so ein Fest macht, an wie viele Sachen man denkt und denken muss und dass man für vieles einen gewissen Vorlauf braucht. Wer in den letzten Wochen die Ereignisse um sich herum wahrgenommen hat, der weiß aber auch, dass nichts mehr so ist, wie es noch letzten Monat war. Dass alle Veranstaltungen abgesagt werden oder, im Falle von Beerdigungen, im kleinsten Kreis begangen werden müssen. Hochzeiten stehen also nicht mehr wirklich auf der Tagesordnung. Mit ein bisschen Spontanität und dem Internet kann man aber auch in diesen Tagen eine richtig schöne Hochzeit feiern. Und das alles ohne die behördlichen Vorgaben zu missachten.

Ich war im siebten Himmel. Wir hatten uns an Weihnachten verlobt und dann im Januar damit begonnen, unsere Hochzeit zu planen. Uns schwebte eine große Party mit allen Freunden und unseren Familien vor. Wir wohnen in Berlin, kommen ursprünglich aber aus anderen Ecken Deutschlands, haben im Ausland gelebt und anderswo studiert. Somit wäre die Gästeschar bunt gemischt: die ideale Zutat für ein gelungenes Fest. Natürlich zog ich auch schnell los, um Kleider anzuprobieren und Schuhe zu finden und was man halt so macht als Braut. Ich freute mich tierisch. Unser Plan war es, Ende April zu heiraten, bevor alle den Mai für ihre Urlaube nutzen würden und die anderen Sommerhochzeiten losgehen würden.

Wir hatten also allen Papierkram zusammen, um beim Standesamt einen Termin zu machen, haben entsprechend den Termin mit der Kirche abgesprochen, die Ringe gekauft und gravieren lassen und die Einladungen verschickt. Jetzt mussten wir eigentlich nur noch abwarten und uns auf den großen Tag freuen. Seit Anfang März wurde die Freude aber immer mehr getrübt von den sich überschlagenden Ereignissen. Jeden Tag wurde es ernster und die Aussicht auf ein rauschendes Fest, mit vielen Menschen, Kindern und Älteren, Weitgereisten und Menschen, die im Gesundheitssystem arbeiten, wurde immer unrealistischer. Natürlich machte uns die Aussicht die wunderbar geplante Party absagen zu müssen unglaublich traurig. Aber noch trauriger war die Vorstellung, dass das Heiraten an sich nun erstmal nicht klappen könnte.

Am 16.03.2020 entschlossen wir uns dann schließlich beim Standesamt zu erfragen, wie lange dort die reguläre Arbeit noch fortgeführt werden sollte und ob unsere Trauung im April noch ein realistisches Szenario sei. Die Standesbeamtin teilte uns mit: “Wir haben nicht vor zuzumachen. Aber man weiß ja nie… Wenn Sie auf Nummer sicher gehen wollen und spontan sind, kommen Sie morgen um 12 Uhr vorbei. Dann verheiraten wir Sie noch schnell. Die Papiere liegen ja schon alle hier.” Ob wir spontan sind? JA! Das Programm für die Mittagspause des 17.03.2020 stand also fest.

Mein Outfit entsprach nicht ganz meinen Vorstellungen, dafür das Wetter aber umso mehr. Nachdem wir vormittags noch gearbeitet haben, fanden wir uns um kurz vor 12 Uhr bei strahlendem Sonnenschein am Standesamt ein. Auf dem Weg fielen uns noch viele Argumente für den 17.03.2020 ein: es ist St. Patrick’s Day, 17 plus 3 ergibt 20, und… wir würden heiraten – egal an welchem Tag. Das Standesamt war abgeschlossen. Niemand stand davor und wartete – schon ein komisches Bild. Nachdem wir geklingelt hatten, wurden wir eingelassen und mit gebührendem Abstand begrüßt. Die Standesbeamtinnen freuten sich sehr über unseren spontanen Entschluss und versuchten die mangelnden Gäste so gut es ging durch eine umfassende Fotodokumentation zu ersetzen. So hatten wir das Standesamt für uns und konnten unzählige Fotos machen, die wir simultan mit Freunden und Familien teilten, die allesamt aufgeregt am Handy saßen.

dass ich noch nie eine so empathische, positive und realitätsnahe Ansprache bei einer Trauung auf dem Standesamt erlebt habe. Nachdem wir die Ringe, mit dem unpassenden Datum in der Gravur getauscht hatten, erlaubte uns die Standesbeamtin mit einem Augenzwinkern, uns zu küssen. “Ich bleib mal lieber hinterm Schreibtisch damit ich Sie nicht ausversehen drücke”, sagte Sie noch entschuldigend und machte noch mehr Fotos.

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Nach der Trauung gingen wir essen. Ich bestellte mir ganz luxuriös Nudeln, wir stießen mit Aperol Spritz an und hatten kurz den Eindruck, ein romantisches Date in Italien zu haben. Dadurch, dass die Sonne schien, wir draußen saßen und so einen großen Abstand zu den anderen Tischen hatten, fühlte es sich fast so an, als seien wir zu zweit auf der Welt. Mini-Flitterwochen mitten in Berlin an einem Dienstagnachmittag – es gibt auch schlechtere Szenarien.

Ein weiterer Höhepunkt stand aber noch für den Abend an. In Windeseile hatten wir am Tag zuvor eine Videokonferenz eingerichtet und den Link an all unsere Hochzeitsgäste verschickt. Treffpunkt 19 Uhr vorm Rechner zum Anstoßen. Wir machten uns bereit, öffneten eine Flasche Champagner und brachten uns vor der Kamera in Position. Nach und nach schalteten sich mehr und mehr Leute dazu: Manche hatten sich einen Anzug oder ein Kleid angezogen, manche den Raum mit “Just Married”-Wimpeln dekoriert, einige fütterten ihre Babys, andere saßen auf dem Balkon ihres Hotels in Quarantäne, wieder andere lagen krank im Bett. Alle hatten ein Getränk in der Hand und stießen virtuell mit uns an. Selten habe ich so ein Glück erlebt wie in diesen Minuten. Durch die Vielzahl der Teilnehmer war ein Gespräch faktisch kaum möglich. Aber der Umstand, dass sich so viele Menschen trotz der vielen Kilometer Distanz so nah sein können und teilhaben an einem für uns so wunderschönen Tag, hat mich zu Tränen gerührt.

Natürlich hätte ich mich über echte Umarmungen und das Klirren von Gläsern und die Gespräche von Menschen im gleichen Raum gefreut. Aber manchmal muss man Einschränkungen hinnehmen, um Schlimmeres zu verhindern. Durch die Videoübertragung und auch schon die Fotos und Anrufe über den Tag verteilt, hatte ich nicht den Eindruck, dass wir allein feiern mussten. Die Vorgabe, seine sozialen Kontakte möglichst einzuschränken, war also gar nicht so sehr eine Einschränkung, wenn man sie richtig auslegte. Es geht ja nicht darum, nicht im Austausch zu sein, sein Leben nicht zu teilen, nicht miteinander zu sprechen. Sondern lediglich darum, nicht im gleichen Raum zu sein. Wann könnte man mit dieser Vorgabe besser umgehen als heute in Zeiten von Kameras, Handys und Videotelefonaten?

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Ich hoffe nach wie vor, dass wir noch richtig feiern können, ich mein Kleid tragen kann und wir uns alle umarmen können. Aber bis dahin bin ich wirklich dankbar. Dafür, dass die Standesbeamtinnen ihren Job trotz Sicherheitsabstand noch weiterhin mit so viel Liebe und Begeisterung machen, dass meine Freunde und Familie sich nicht von der Technik abhalten lassen, sondern alle Mittel und Wege nutzen, um mir nahe zu sein und natürlich für den Mann an meiner Seite, der jetzt inmitten des ganzen Chaos mein Ehemann ist.