Vor drei Monaten ist unsere deutsche Autorin Rebecca Schönheit auf die Nordseeinsel Langeoog gezogen. In einem ersten Bericht zur Lage hat sie uns im Juli an ihren Erfahrungen teilhaben lassen. Mittlerweile ist sie bereits seit drei Monaten auf der Insel im Wattenmeer und gewährt uns erneut einen Einblick in ihr Leben als Hoteldirektorin.
Die Zeit verging wie im Flug. Erst beim Schreiben dieses Artikels ist mir so richtig bewusst geworden, dass wir bereits seit drei Monaten auf Langeoog leben. Unsere Vorstellung war ja, dass wir, vor allem auch dadurch, dass wir uns die Stelle teilen, ein entspannteres Leben führen würden. Einige Stunden im Büro und dann ab an den Strand. Das sah unser Plan vor. Mittlerweile haben wir uns – zumindest für 2020 – von diesem Plan verabschiedet. Wir sind noch immer dabei zu verstehen, wie „unser“ Hotel funktioniert. Dabei geht es nicht nur darum, dass wir Zimmer mit Betten zum Übernachten bereitstellen und die Küche regelmäßig Mahlzeiten zubereitet. Es geht um Dienstpläne, Channel-Manager und Silvesterfeiern, Schließzeiten, Matratzenhärtegrade und Coronoa-Genehmigungen.
Aber eins nach dem anderen. Da wir neu in der Hotelbranche sind, fangen wir bei ganz vielen Themen bei null an. Das ist einerseits erfrischend, weil wir ohne Vorurteile an Themen herangehen, andererseits ist es unglaublich ermüdend, wenn man ein Buchungsprogramm einfach nicht dazu bringen kann, die Wunscheinstellungen zu übernehmen. Nicht nur aus diesem Grund sind wir unglaublich dankbar für unser motiviertes und routiniertes Team. Unbeeindruckt von all unseren Ideen, Vorschlägen, den Erfolgen und dem Scheitern, arbeiten all unsere Mitarbeiter mit viel Freude und Herzlichkeit, so dass der Hotelbetrieb ohne große Erschütterungen weiterlaufen kann. So hatten wir bspw. die tolle Idee, Wasserkocher in jedem Zimmer aufzustellen damit sich die Gäste Tee und Kaffee machen können. Dabei haben die Mitarbeiter uns auf die verschiedenen Dimensionen, die neben dem Wohl des Gastes berücksichtigt werden müssen, hingewiesen. Das Housekeeping auf die Reinigung, die Haustechnik auf das Stromnetz und der Service auf den Einkauf der Produkte. So wurde aus dem potentiellen Quick-Win ein kleines Projekt. Oder der Umbau von Zimmern: hier gilt es neben baulichen Besonderheiten auch den Brandschutz, das Housekeeping und die Rezeption miteinzubinden. Einfach mal so mehr Zimmer schaffen oder kleinere Zimmer zusammenlegen, funktioniert also auch nicht. Wir haben schnell gelernt, dass aus fixen Ideen häufig kleine bis große Projekte erwachsen und die Umsetzung mitunter etwas länger dauert.
Währenddessen verstehen wir so langsam, warum so manches Hotel einen eigenen Mitarbeiter für die Bespielung der Channel-Manager angestellt hat. Das Prinzip ist an sich leicht, man bietet ein Zimmer für einen bestimmten Preis an und teilt diese Informationen unterschiedlichen Buchungsplattformen mit. Diese bieten das Zimmer dann ebenfalls an, so dass die Zimmer möglichst auf vielen Plattformen zu finden sind. Stimmen die Einstellungen allerdings nicht, ist es auf einmal nicht mehr möglich, ein Kind dazuzubuchen oder der Doppelzimmerpreis wird immer nur für drei Personen – egal welchen Alters – berechnet.
So langsam sehen wir aber Land in Sicht. Dennoch haben wir großen Respekt vor all den kleinen Hotels, die sich hier ebenfalls mehr oder weniger ohne Hilfe reinarbeiten. Wie so häufig im Freizeitsektor, gilt auch hier: was auf den Gast mühelos wirkt, bedeutet viel Arbeit hinter den Kulissen. Das gilt für die Vorbereitung von Gruppenreisen ebenso wie für die Zimmerreinigung, das Zurverfügungstellen von Fahrrädern oder dem täglich wechselnden Angebot von Speisen, die im Idealfall bio, regio und fair und dabei den Gästen nicht zu teuer sein sollen.
Neben all den Einstellungen unsere Preise, Buchungsoptionen etc. haben wir aber natürlich auch Kontakt mit unseren Gästen. Eigentlich ist das, bis auf wenige Ausnahmen, das schönste an unserem neuen Job. Wir machen ganz konkret Leute glücklich, sorgen für Entspannung oder bieten einen Zufluchtsort. Teil unserer Tätigkeit ist es daher Karten zu Hochzeitsjubiläen oder Geburtstagen zu schreiben, frische verheirateten Paaren eine Flasche Sekt zu spendieren oder einfach nur die eigene Lieblingskneipe weiterzuempfehlen oder über die Vorzüge der verschiedenen Eisdielen auf der Insel zu fachsimpeln.
Darüber hinaus gibt es aber auch Spezialfälle. Ein älterer Gast stand eines Tages vor mir und wollte, dass ich ihm sein Insulin spritze, er würde das grad nicht schaffen. Zum Glück ist eine unserer Mitarbeiterin Krankenschwester und konnte diesen Fall übernehmen. Ein anderer Gast hatte sich beim Föhnen die Haare so sehr in der Bürste verknotet, dass diese sich nicht mehr aus den Haaren entwirren ließ. Mit viel Geduld und Öl gelang es uns schließlich auch dieses Problem zu lösen. Wir merken mehr und mehr, dass wir sowohl für die großen Themen, als auch für die kleinen Anliegen zuständig sind.
Im Vergleich zu unserem “alten” Leben in Berlin ist es manchmal erfrischend leicht, hier vor Ort Probleme zu lösen. Es sind keine komplizierten juristischen Fragen, die geklärt werden müssen, sondern einfach nur ein weiteres Kopfkissen oder der Transport eines Koffers zum Bahnhof. Andererseits ist es manchmal auch frustrierend, für alles verantwortlich zu sein: für die schlechte Laune des Kutschers beim Ausflug, das regnerische Wetter oder die als nicht adäquat empfundene Kleidung eines anderen Gastes. Dabei fällt es mir nicht immer leicht, geduldig zu bleiben, insbesondere weil ich weiß, welches Privileg es aktuell ist, überhaupt Urlaub machen zu können. Besonders schwer ist es aber, den Spagat zu schaffen, alle Gäste gleichzeitig glücklich zu machen: man kann nicht Hundebesitzer und Allergiker beherbergen. Oder eine Grundschulklasse und ein Schweigeseminar, das sich nach innerer und äußerer Ruhe sehnt.
Da ist es dann auch schön, wenn ein wenig Abwechslung reinkommt. Im Sommer hatten wir neben dem „normalen“ Hotelalltag einige besondere Veranstaltungen. Eine Opernsängerin aus Bremen hat Konzerte gegeben, wir haben Open-Air-Gottesdienste und Vorträge über Zugvögel veranstaltet Es ist wahnsinnig spannend zu sehen, worauf Menschen sich im Urlaub einlassen können und wollen und welche Chancen ein Hotel mit so viel Veranstaltungsfläche für genau solche Sachen gibt.
Aber auch losgelöst von der Arbeit haben wir den Sommer als sehr bereichernd empfunden. Wir hatten fast jede Woche Besuch von Freunden oder Familie. Dabei waren wir nicht nur am Strand spazieren oder haben Radtouren gemacht, sondern waren essen, haben tolle Gespräche geführt und h uns so gar nicht einsam oder wie am Ende der Welt gefühlt. Auch wenn es einem sonst selbstverständlich vorkommen mag, Freunde zu haben, auf einer Insel mitten im Wattenmeer bekommen diese Menschen einen ganz neuen Stellenwert.
Zum Glück bahnen sich auch auf Langeoog erste neue Freundschaften an. Wir haben über lustige neue Hobbys (Shanty-Chor) und Freizeitaktivitäten (Spaziergänge mit Alpakas) spannende Leute kennengelernt, mit denen wir uns auch gut den Winter mit ein bisschen weniger Tourismus-Trubel vorstellen können. Aber auch hier gibt es eine andere Seite: die Insel ist ein Dorf und jeder kennt jeden. In beiden Lokalzeitungen standen bereits Artikel über uns, samt großen Farbfotos. Somit kennt nun auch jeder uns. Und dabei wissen wir nicht, mit welchem Blick wir “Zugezogenen aus der Hauptstadt” beäugt werden. Wenn man dann auf der Straße gegrüßt wird, ohne zu wissen von wem, ist das manchmal schon ulkig. Oder wenn man mitbekommt, dass Informationen über uns ihren Weg über die Insel finden, ohne unser Zutun. Und da wir bislang an Berliner Großstadtanonymität gewöhnt waren, ist die Nähe und Unmittelbarkeit auf jeden Fall Neuland. Umso wichtiger ist es, einen Rückzugsort zu haben, an dem wir sein können, wie wir sind, ohne Nachdenken zu müssen, wie wir wirken.
Daher bin ich unglaublich dankbar, dass wir mit unserer Wohnung ein gutes Stück weitergekommen sind. Langsam wird es frisch an der Nordsee, so dass der Garten als „Aufenthaltsort“ immer weniger attraktiv wird. Dennoch freue ich mich mittlerweile richtig, wenn ich nach Hause komme, weil wir nicht mehr auf einer Baustelle leben, sondern ein Zimmer bereits fertig ist. Naja, fast fertig. Unser Schlafzimmer wartet nur noch auf das neue Bett, dass sich auf Grund von Lieferschwierigkeiten (woran ist Corona dieses Jahr eigentlich nicht schuld?) für Ende des Monats angekündigt hat. Die Details zu Heimwerken auf einer Insel erspare ich allen Lesern an dieser Stelle. Es sei nur so viel gesagt: Auch diese Tätigkeit ist etwas schwerer, wenn man nicht einfach mal mit dem Auto zum Baumarkt oder Möbelhaus fahren kann. Umso dankbarer sind wir für unsere talentierten Haustechniker.
Ein erstes Resümee, das wir ziehen können, ist das die Hotellerie kein Zuckerschlecken ist. Die Arbeit ist hart, die Konkurrenz groß und die Gäste anspruchsvoll. Dennoch gibt es jeden Tag viele Momente, für die sich all das lohnt. Kleine Begegnungen, tiefgründige Gespräche mit eigentlich Fremden, Mitarbeiter, die über sich hinauswachsen und Erfolgserlebnisse mit scheinbar unlösbaren Problemen. Wir bleiben also dran und halten uns vor Augen: es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur die falsche Kleidung. Diesen Grundsatz können wir auf unsere Arbeit übertragen. Wir sind gespannt auf die nächsten Monate, den Winter, und das neue Jahr. Bei alldem hoffen wir natürlich, dass Corona uns keinen Strich durch die Rechnung macht und wir unser Hotel weiter geöffnet lassen können.