Zufallstourist

Mitten in der globalen Pandemie gibt es mehr als ausreichend Geschichten von gestrandeten Reisenden, abgebrochenen Trips und internationaler Unsicherheit. Unsere französische Redakteurin Manon Tomzig, mit Wohnsitz in Manila, beschreibt, wie es war aus einem strengen Lockdown auf den Philippinen zu entkommen, nur um als gefangene Touristin in Frankreich zu landen.

Lockdown: Sie wissen genau, was ich meine. Und genauso geht es den Philippinos. Noch länger als der in Wuhan, war der Lockdown auf den Philippinen der strengste und autoritärste der Welt. Nur autorisierte Gänge nach draußen, wie ein Einkauf in einem Geschäft – nur eine Person pro Haushalt – waren erlaubt. Und für Menschen, die sich nicht daran hielten, drohte Gefängnis. Es gab 30.000 Verhaftungen im ersten Monat. Der Präsident war sehr bestimmt und gab die öffentliche Anweisung an die Armee: erschießt Unruhestifter.

Nach zwölf Wochen hatte ich meine Wohnung, meine Rezepte, und meine Netflix-Bibliothek aus jedem Blickwinkel gesehen. Meine Sockenschublade war aufgeräumt und sauber und meine Gymnastikmappe bereits fadenscheinig. Die heiße Jahreszeit war in vollem Gange und alles was mir noch übrig blieb zu tun, war das Zählen der Lamellen meines Ventilators. Um es kurz zu fassen: wie jeder andere Mensch war ich so was von bereit wieder zurück in die reale Welt da draußen zu kommen.

In der Zwischenzeit, als der Juni näher rückte, begann Frankreich damit seine Restriktionen zu lockern und, zwar hinter Masken, langsam wieder wie sein normales Selbst auszusehen. Daher schnappten wir uns sobald es ging die ersten Flugtickets, die keinen Bankkredit nötig machten und bestiegen ein Flugzeug. Nach einem 10-stündigen Zwischenstopp auf einem Teppich im Flughafen von Bahrein landeten mein Mann und ich endlich wieder auf französischem Boden.

Wir hatten einen Aufenthalt von drei Wochen geplant.

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Links: Beim Verlassen des Flughafens von Manila. Rechts: Begrüßt von StreetArt bei unserer Rückkehr nach Paris.

Einige Tage vor unserem Rückflug erhielten wir eine E-Mail von unserer Fluggesellschaft, die uns darüber informierte, dass der erste Teil unseres Fluges storniert sei: es gab keine Flüge mehr von Paris nach Bahrain. Wir sagten uns, dass der Flug ersetzt werden würde. Wir warteten geduldig. Die Zeit verging. Wir hörten nichts. Der Tag unseres Abflugs kam und ging. Noch immer kein Flug.

Ich war davon ausgegangen im Juli zurück auf den Philippinen zu sein, aber der Virus war gerade wieder im Anstieg und es gab keine Tests. Das Land hatte die Einreisen drastisch limitiert: nicht mehr als 400 Menschen am Tag durften den Flughafen von Manila passieren. Mit anderen Worten: ein Flugzeug für die gesamte Welt. Fluglinien wurden limitiert, Flüge storniert oder auf dem Plan gelassen, aber niemals durchgeführt. Einen Flug zu finden, wurde wie Lotto spielen. Wenn man Glück hatte und es sich leisten konnte, die unfassbar hohen Preise zu zahlen, konnte man sich ein Ticket in der Business-Class kaufen: schlappe 10.000 Euro für zwei Tickets. Bei dem Preisniveau war uns schnell klar, dass wir genauso gut mit dem Sparen für unser eigenes Flugzeug beginnen konnten. Ein Rückflug war für uns nicht in Sicht.

Zu diesem Zeitpunkt begann der nächste Teil unserer Reise: unser Leben als Pariser Nomaden.

Wir verließen unser Hotelzimmer und landeten vor den Eingangstüren unserer Freunde. Wir schliefen auf den verschiedensten Sofas, Zuhause nach Zuhause, wieder und wieder. All unsere Freunde waren großzügig und geduldig und nahmen uns und unser Gepäck im Wechsel auf. Es war wie ein Walzer, der Wechsel von Wohnungen und Sofas. Die Wochen verschwammen unter den Eindrücken der verschiedenen Nachbarschaften: neue Türcodes, neue Schlüssel, unterschiedliche Farben des Geschirrs, andere Textur der Kissen. Wir wurden zu Chamäleons, Experten in der Kunst, die jeden guten Hausgast ausmacht: Diskretion.

Nach wie vor blieben wir am Ball auf der Suche nach einem Rückweg nach Manila. Ich erspare Ihnen die lange Version und sage nur so viel: wir haben es geschafft. Vor langer Zeit hatten wir für August einen Trip nach Deutschland geplant. Die Idee, nach der endlosen Suche nach einem Flug zurück nach Manila, zwei Wochen in Quarantäne zu gehen, nur um wieder nach Europa zurückzufliegen, um erneut zwei Wochen in Quarantäne zu bleiben, war nicht begeisternd. Daher blieben wir, klügelten Telefonpläne aus, bemühten uns, Orte zu finden, an denen wir arbeiten konnten und waren ständig auf der Jagd nach W-LAN. Inmitten all der Umbrüche blieb eine Sache konstant: der Inhalt unserer Koffer. All unsere Sachen erlitten das gleiche Schicksal wie wir. Mit der Erwartung gepackt für drei Wochen reichen zu müssen, mussten sie es drei Monate schaffen.

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Festzustecken an einem Ort, der nicht dein Zuhause ist, ist befremdlich – selbst wenn der Ort Paris ist.

Ich kann das seltsame Gefühl nicht leugnen, das entsteht, wenn man nicht nach Hause gehen kann. Natürlich, und das werden Sie jetzt sicher denken, gibt es Schlimmeres, als in Paris festzusitzen. Meine eigene unterbrochene Reise, obwohl sie mich so viel Geduld und Organisation gekostet hat, ist nichts im Vergleich zu dem, was andere erleben mussten. Jetzt, da ich in Frankreich festsitze, kann ich nur über die Ironie nachsinnen, dass ich vor 2 Monaten über das genaue Gegenteil in meiner Rolle als Korrespondentin für France 2 berichtet habe: die Situation von französischen Touristen, die während der ersten Tage der Pandemie auf den Philippinen gestrandet sind. Diese Reisenden fanden sich vor den Flughäfen campierend und das unter der Aufsicht der lokalen Polizei. Manche waren für Wochen auf abgelegenen Inseln gefangen, die Ersparnisse mit jedem Tag kleiner werdend.

In dem Maße, wie sich die Pandemie auf den Philippinen hinzieht, werden solche Geschichten von Immobilität nur noch mehr und mehr. Ich habe zwei Freunde, die sich seit ihrer Hochzeit im vergangenen Februar nur zwei Tage lang gesehen haben. Beide sind gestrandet: sie ist in Indien, er ist auf den Philippinen. Ich denke auch an eine philippinische Nachbarin von mir, die in Manila arbeitet – sie hat ihren Säugling, der mit ihrer Familie in der Provinz zurückgeblieben ist, seit Dezember nicht mehr gesehen. Ganz zu schweigen von all denjenigen, die, da sie nicht an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können, ihre Arbeit vollständig verloren haben.

Die Leichtigkeit des Reisens schien einmal so offensichtlich. Noch vor wenigen Monaten hielten wir sie für selbstverständlich, betrachteten sie als gegeben. Jetzt hat sich all das als so viel zerbrechlicher erwiesen, als wir es uns je vorgestellt hatten. Wenn all dies vorbei ist, werden wir es vielleicht als das anerkennen, was es ist: Etwas, das eher ein Wunder als eine Selbstverständlichkeit ist.

 
Manon Tomzig ist die französische Autorin und Redakteurin von Tablet Hotels. Sie lebt in Manila.