Manchmal braucht man einen Ort wie Marfa, auch wenn Marfa dich nicht unbedingt braucht.
Mit dem jährlichen Trans-Pecos Festival of Music + Love, das in Marfa stattfindet, dachten wir, dass es der ideale Zeitpunkt ist, sich diese spezielle Stadt einmal näher anzusehen. Im weiteren Verlauf teilt unser Editorial Director Mark Fedeli seine Gedanken zur Marfa-Erfahrung, einem Hotel, das seines gleichen sucht und einer Reise, die nicht so einfach ist, wie sie scheint.
Manchmal muss man einfach aus der Stadt raus. Die Massen, der Stau, die Optionen – es wird erdrückend und man braucht eine Pause vom Lärm. Manchmal braucht man einen Ort wie Marfa, auch wenn Marfa dich nicht unbedingt braucht.
Das Leben in der Stadt überfällt dich häufig, ergießt sich über dich. Aber draußen in der Wüste von West-Texas steht alles einen Schritt zurück, gibt Raum und fordert dich heraus, von innen zu arbeiten. „Was kannst du dazu beitragen?“ Es ist eine entzückende Herausforderung und als Hotel-Fanatiker war ich besonders daran interessiert, was Liz Lambert und die Bunkhouse-Gang zustande gebracht haben. Das Ergebnis ist das El Cosmico, eine Sammlung einzigartiger Unterkünfte, die so perfekt in ihre Umgebung passen, dass man sich fast vorstellen kann, dass sie schon immer dort waren.
Die Umgebung? Marfa, Texas: eine Stadt mit einer Ampel, die hunderte von Kilometern entfernt von allem auf dem Weg ins Nirgendwo liegt. Sie hat schon nahezu mystischen Status als Außenposten der Kreativität und Pilgerort für jeden, der Kunst und Americana liebt (oder Beyoncé on Instagram). Marfa wurde das erste Mal berüchtigt als Elizabeth Taylor und James Dean hier einfielen, um Giant im Jahr 1956 zu filmen. Die Stadt nahm in den 70er und 80er Jahren noch mehr Gestalt an, als der Künstler Donald Judd sie als Rückzugsort für seine Arbeiten wählte und damit New York City vorzog und später ein großangelegtes Museum für zeitgenössische Kunst hier eröffnete, die Chinati Foundation. Mittlerweile ist die Stadt allen ein Begriff.
Trotz der mondänen Geschichte ist Marfa weder luxuriös noch glamourös oder gar der „place to be“, den man im Kopf hat. Sie ist einfach. Und dankenswerterweise gilt das auch für das El Cosmico.
Um Voltaire zu paraphrasieren, Marfa ist die Art von Ort, die man erfinden müsste, gäbe es sie nicht schon. Das ist auch in etwa das, was Judd vor vielen Jahren tat: er gab diesem kleinen Fleck auf der Landkarte eine Identität, die dabei half, es in ein gewichtiges Zentrum mit Einfluss zu verwandeln. Und auch was Liz Lambert mit El Cosmico macht, ist vergleichbar. Sie schafft die Art von Hotel, die die komplette Mission von Tablet bestärkt.
El Cosmico befindet sich auf einem bescheidenen Stück Land im Außenbezirk der Stadt. Verlassene Felder erstrecken sich soweit das Auge reicht, dahinter die Berge und darüber der endlose Himmel. Nachts bekommt man die Milchstraße in stereo. Aber die wirkliche Attraktion sind die Vintage-Airstream-Trailer – sie stehen da wie Könige, die zu ihrem alten Ruhm zurückgefunden haben.
Hotels sind nicht immer gut darin, sich selbst zu beschreiben aber das El Cosmico charakterisiert seine Airstreams ganz akkurat als „eine Armada schwimmend auf einem Wüstenmeer.“ Zusätzlich verschaffen sie einem auch eine ziemlich gute Zeit und wenn man in Trailer übernachtet, braucht es nicht lang, bis es sich anfühlt, wie das neues Zuhause und eine direkte Verlängerung seiner selbst. In einem durchschnittlichen Hotelzimmer kann man sich recht schnell in die Welt eines anderen gezwängt fühlen. Im El Cosmico gehört die Welt einem selbst.
Die Trailer sind klassische Design-Werke und sie profitieren von der zurückhaltenden Restauration, die nicht versucht sie zu mehr zu machen, als sie waren. Das versetzt sie in einen Zustand genügsamer Schönheit, die an die andere Wüsten-Armada von Marfa erinnert: Donald Judd’s Betonboxen.
Mr. Judd hat bekanntermaßen der Einschätzung widersprochen, dass seine Kunst minimalistisch sei. Er selbst bezeichnet sie als „simplen Ausdruck komplexer Gedanken“. Das klingt auch irgendwie richtig für El Cosmico. Die Airstreams und anderen Unterkünfte (dazu zählen auch Zelte, Tipis und Jurten) sind auf perfekte Weise spärlich eingerichtet und frei von nutzlosen Dingen. Was sie stattdessen bieten, ist eine eifrige Präsenz, die einen im Handumdrehen in die Zeit der Road Trips und Attraktionen am Straßenrand des amerikanischen Westens in der Mitte des letzten Jahrhunderts zurück versetzt – ein verschwundener Moment, der das nationale Bewusstsein noch immer fest im Griff hat.
Zyniker könnten all dem eine hipsterige Wiederverwendung der Vergangenheit vorwerfen. Denen möchte ich allerdings zurufen: der Abgrund starrt auch in euer Inneres. Diese Verbindungen zu einer vergangenen Ära sind nicht nur auf den Erfolg bedacht. Es war eine langsamere, einfachere Zeit und Marfa ist eine langsamere, einfachere Stadt. Es ist ein Ort, der stolz darauf ist in der Mitte von Nirgendwo zu existieren und eine Art an sich zu haben, die Fremde einschüchtern kann, die etwas Touristisches erwarten. Anstatt einfach loszulaufen und die Tore für die anstürmenden Massen zu öffnen, wagt Marfa den Drahtseilakt zwischen Offenheit und Zurückhaltung, um auf bedachte Weise seine Authentizität zu bewahren.
Ähnlich verhält es sich mit dem El Cosmico – es ist mehr als gastfreundlich aber eben auch kein nostalgischer Freizeitpark. Wie die Region selbst wird dieses Hotel besser durch das, was die Gäste mitbringen. Traditionelle Annehmlichkeiten kann man hier in der Abgeschiedenheit nicht finden, aber wenn man mit einem abenteuerlichen Gemüt und der Lust an Gemeinschaft eincheckt, wird man mit einer Erfahrung belohnt, die um vieles wertvoller ist als Flachbildfernseher oder vornehme Bettwäsche. All das ist Teil von etwas, das sich anfühlt wie ein unablässiger Austausch von Energien zwischen El Cosmico, Marfa und den Gästen hier; jede Seite wird bereichert durch die Vorstellungskraft und Genialität des anderen.
Wie könnte es ein solches globales Ziel werden? Und es gibt wahrscheinlich noch viel mehr Gründe, als Sie sich vorstellen können, den weiten Weg hierher zu wagen. El Cosmico war mehr als genug, um meine Reise zu rechtfertigen, aber der komplizierte Charme der Stadt existierte lange vor dem Hotel.
Wie seine berüchtigten Mystery Lights, ist Marfa ein Phänomen, das man nur schwer erklären kann und was somit nur noch mehr zu seinem Reiz beiträgt. Natürlich gibt es die offensichtlichen Punkte, die es kultig machen wie die Verbindung zur Kunstwelt oder der Hollywood-Stammbaum. Die Marke der ländlichen Urbanität ist sicherlich au courant, aber etwas Unauffälliges ist definitiv noch wichtiger: die Distanz
Der Umstand, dass es so weit entfernt von allem liegt, hat sicher dazu beigetragen, dass Marfa ein Zufluchtsort vor der unermüdlichen Rastlosigkeit des modernen Lebens ist. Die Distanz trägt ebenfalls dazu bei, dass jede Reise hierher sich ganz besonders anfühlt; es ist eine Leistung. Spricht man mit jemandem, der schon hier war, fällt auf, dass genauso viel Redeanteil für die Beschreibung der Reise wie für den Aufenthalt an sich anfällt. Die epische Fahrt durch West-Texas ist genauso ein Teil der kulturellen Signifikanz von Marfa wie alles andere.
Und auch das passt. Donald Judd floh aus New York, um eine einfache Zuflucht zu finden und er wurde in der kargen, gleichmütigen Landschaft des Westens fündig. Seine Suche spiegelt sich in den unzähligen Road Trips wieder, die jedes Jahr in Richtung Marfa unternommen werden – hoffnungsvolle Reisende, die eine Pause vom Lärm brauchen und einen eigenen Anlauf nehmen ihre Absolution zu finden. Für sie ist Marfa einfach nur ein Ort, der weit weg von anderen Orten liegt. Es ist ein Ort, an den man fahren und von dem man sich auch wieder abwenden kann. Und das ist alles, was es sein muss.
Mark Fedeli