Durch das Spiegelglas

Mit der dieser Tage wieder häufigeren Erwähnung Nordkoreas in den Nachrichten aus all den altbekannten Gründen dachten wir uns, dass dies die richtige Zeit für einen Reisebericht aus erster Hand ist.

Nein, wir haben keine Hotels nördlich der demilitarisierten Zone. Aber der Grund für Reisen sind erinnerungswürdige Erfahrungen und ein Trip nach Nordkorea gehört auf jeden Fall dazu. Maximilian Edwards ist ein passionierter Weltenbummler und ein britischer Freund von Tablet, der die Demokratische Volksrepublik Korea als privater Bürger bereist hat und damit zu den wenigen Tausend Menschen gehört, die aus dem Westen dort einreisen durften. Mit der dieser Tage wieder häufigeren Erwähnung Nordkoreas in den Nachrichten aus all den altbekannten Gründen dachten wir uns, dass dies die richtige Zeit für einen Reisebericht aus erster Hand ist. Eine Schilderung des wohl einzigartigsten Landes der Welt und eine Erinnerung, dass hinter jeder Schlagzeile eine Nation von Menschen steckt, die versuchen das Beste aus einer Situation zu machen, in der sie stecken ohne diese frei gewählt zu haben.

Wenn Sie an Nordkorea denken, dann denken Sie, abhängig von Ihrem Temperament vermutlich entweder an einen angsteinflößenden „Schurkenstaat“, der die Welt mit nuklearen Angriffen bedroht oder an eine überzogene Parodie einer umnachteten, isolierten Diktatur. Ich bin in die DVRK – die Demokratische Volksrepublik Korea, ein Name, der zur Hälfte oder vermutlich sogar zu Dreiviertel ironisch ist – mit einer Kombination aus beidem eingereist.

Was ich vorgefunden habe, war viel interessanter als das und das ging schon beim Flug nach Pjöngjang los. Ich erwartete einen Überfluss an grauen Jogginganzügen aber die Flugbegleiter von Air Koryo trugen ansehnliche Retro-Uniformen, die Erinnerungen an die Bekleidung der Besatzung von Pan Am zu Zeiten der goldenen Ära des Fliegen hervorrief. Und die Staatsdiener – Soldaten, Verkehrspolizisten – am Boden trugen knöchellange Mäntel im sibirisch anmutenden Stil.

Im Kontrast dazu war die Zivilbevölkerung fast ausschließlich in den trostlosen, dunklen Kleidungsstücken zu sehen, die ich erwartet hatte. Und hier gab es kaum ein Ende. In der Tat fand ich es bemerkenswert wie viele Leute tagsüber in den Straßen unterwegs waren – eine unglaubliche Zahl an Menschen, die ohne erkennbares Ziel durch die Gegend liefen; und das nicht nur während der regulären Pendlerzeiten, sondern zu jeder Tages- oder Nachtzeit. Ein Accessoire war dabei universell sichtbar: jeder Bürger trug wie vorgeschrieben einen Ansteckpin, der die beiden verstorbenen Anführer zeigt.

North Korea
Großmonument Mansudae

Wir kamen während der Zeit des „200-Tage-Kampf“ in Nordkorea an. Das bedeutet, dass die Bevölkerung ihre reguläre, sechstägige Arbeitswoche gegen eine Periode von zweihundert Tagen Arbeit am Stück eintauscht. Für viele bedeutet das Arbeit auf dem Feld; aber für jeden aktiven Arbeiter standen oder hockten vier oder fünf müßig daneben. Das erschien mir extrem unproduktiv. Allerdings gab es auch keine Anzeichen dafür, dass es einen anderen Ort gegeben hätte, an dem sich die Arbeiter hätten entspannen können, hätten sie dafür überhaupt die Zeit gehabt.

Mehr als ausreichend Gelegenheit gab es dafür den verstorbenen Anführern Kim Il-sung und Kim Jong-il seinen Respekt zu zollen. Jede Stadt verfügt über eine gigantische Statue von beiden und jedes Klassenzimmer (und jeder Wagon der U-Bahn) war dekoriert mit einem Portrait. Da Religion rar ist und die offene Bekehrung illegal, scheint die Verehrung von Kim eine gewisse Lücke zu füllen. Der Zeitpunkt, an dem die Grenze von bizarr zu deprimierend für mich überschritten wurde, war unser Besuch im Mausoleum – großartig, voller Ornamente, absolut übertrieben und ein krasser Kontrast zu den unzähligen unscheinbaren, günstig gebauten Gebäuden in Pjöngjang und Umgebung.

Sich fortzubewegen war unglaublich einfach, da die Straßen, im Gegensatz zu den von Menschen überfüllten Gehwegen, nahezu verlassen waren. Private Fahrzeuge waren die absolute Ausnahme – ein Privileg, das nur der Elite des Landes vorbehalten ist. Die Hauptstraße in Kaesong, einer Stadt mit ca. 300.000 Einwohnern war fast komplett leer. Sogar Pjöngjang fühlt sich nachts gespenstisch dunkel an – zwischen den gelegentlichen Stromausfällen.

North Korea
Straßenverkehrshelfer, einheimische Frau, einheimischer Mann

Da die beiden Koreas nie einen Friedensvertrag geschlossen haben, befinden sich Norden und Süden technisch betrachtet bis heute im Kriegszustand. An diesen Umstand wird man als Besucher der DVRK ununterbrochen erinnert. Vor meiner Ankunft hatte ich eine angsteinflößende Militärpräsenz erwartet. Der Eindruck vor Ort war aber eher der einer bedauerlichen Armee. Mir wurde erzählt, dass viele der Soldaten mit hölzernen Gewehren üben und vermutlich wäre echte Munition eine Extravaganz. Wir wurden außerdem darauf hingewiesen, dass wir keine Fotos in der Nähe des Flughafens in Pjöngjang machen dürfen, weil dort einige sehr rudimentäre Luftabwehrraketen stationiert sind. Und ganz im Norden der demilitarisierten Zone sahen wir einige Felsen aufgereiht, die vermutlich als plumpe Verteidigung gegen Panzer dienen sollten. Alles in allem hatte ich das Gefühl, dass die Verteidigung weniger wirklich funktionieren sollte, sondern mehr dazu diente, den Schein zu wahren und die Leute von der Rechtschaffenheit des Anliegens zu überzeugen, das so viele Opfer und Entbehrungen fordert.

Ein Großteil der Entbehrung, die man hier sieht, ist ein Ergebnis des fortgesetzten Glaubens, dass die beiden Koreas wiedervereint werden, sobald die Vereinigten Staaten und ihr „Marionetten-Regime“ im Süden abgewehrt werden können. Die Bevölkerung hier sieht die Teilung ihres Landes und den Verlust ihrer erweiterten Familien im Süden als tägliche Tragödie und sie halten an dem Glauben fest, dass sie als Gewinner aus dem Korea-Krieg hervorgegangen sind. Tatsächlich wurde sogar ein brandneues, prunkvolles Museum erbaut, dass diesem Krieg gewidmet ist und das wie auch das Mausoleum in einem so ärmlichen Land wie der DVRK absolut fehl am Platz wirkt.

Während die gewöhnlichen Arbeiter vermutlich nur wenig gesehen haben, das sie von ihrer Meinung abbringen könnte, wirkt es so, als wären einige der etwas gebildeteren Angehörigen des Bürgertums schon einmal ins Ausland gereist. Unsere Hauptführerin, Mrs. Han, hat während ihrer jungen Jahre in Polen gelebt. Und Mr. Kim hat in Deutschland studiert und war schon in China und Russland. Sie sind sich darüber bewusst, dass viele Menschen auf der Welt es wesentlich besser haben als sie. Mr. Kim hat mir gegenüber gestanden, dass er sich ein wenig schämt, wenn er Reisenden aus Skandinavien eine Tour gibt, weil diese besonders enttäuscht über die Infrastruktur in der DVRK sind.

North Korea
U-Bahnstation

Ohne Frage könnte und sollte der Lebensstandard der gewöhnlichen Bürger besser sein als er derzeit ist. Je länger sie vom Rest der Welt abgeschnitten sind, desto weiter entfernen sie sich davon. Die DVRK ist die Quelle vielfältiger Witze für die Menschen im Westen und tatsächlich finden sich vor Ort einige Elemente schwarzen Humors. Aber nach meinem Besuch sind die überwiegenden Gefühle die von Sorge und Traurigkeit. Wir sollten Nordkorea viel mehr als humanitäres, denn als rein geopolitisches Problem betrachten. Meine Zeit in der DVRK diente mir als eindrückliche Erinnerungshilfe, dass hinter den Schlagzeilen der Nachrichten, die über die aktuellsten Großtaten von Kim berichten, die unerzählten Geschichten von individuellem Leiden stecken.

— Maximilian Edwards

 

Wir freuen uns über Berichte von einzigartigen Reiseerlebnissen unserer Leser – auch wenn sie sich fernab der Boutique-Hotel-Welt bewegen.